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11Freunde Spezial: Der beste Torwart der Welt, zumindest im Kreis Diepholz: Sorosh Nassiri

Sorosh

Da ist so’n bekloppter Perser. Bei dem kriegst du keinen rein. 

Sorosh Nassiri war ein lokaler Weltstar, der beste Torwart, den der Landkreis Diepholz je gesehen hat. Was ist aus ihm geworden? Ein Wiedersehen nach 25 Jahren.

Von Dirk Gieselmann

»Da ist so’n bekloppter Perser«, sagte einmal ein Konkurrent über ihn. »Bei dem kriegst du keinen rein.«

Wenn Sie mich fragen, wer die besten Torhüter der Neunzigerjahre waren: Peter Schmeichel und Oliver Kahn. Vielleicht noch Michel Preud’homme. Und natürlich Sorosh Nassiri.

Sorosh Nassiri war ein Weltstar, wenn auch nur im Landkreis Diepholz. Jeder dort kannte ihn, diesen Teufelskerl, der die Stürmer auf den Ackern zwischen Bruchhausen-Vilsen und Lemförde das Fürchten lehrte. Dem vom Spielfeldrand aus die Mädchen zujubelten, als seine Mannschaftskameraden noch von ihren Muttis angefeuert wurden.

Ich war damals rechter Verteidiger, im weitesten Sinne also ein Kollege von Sorosh: Unser beider Aufgabe war es, Tore zu verhindern. Doch während ich zu Werke ging, als würde ich einen Flächenbrand austreten, handelte es sich bei ihm um Kunst. Ich habe, mit Ausnahme von Greg Louganis, dem Olympiasieger im Wasserspringen, nie jemanden so schön und so erfolgreich fliegen sehen wie Sorosh Nassiri.

Die Taktikbesprechungen jener Zeit bestanden darin, dass der Trainer eine Handvoll Magnete zu einem ungefähren 5-3-2-System an die Tafel warf. Wir versuchten, wenn wir überhaupt mal zu elft waren, es auf dem Platz nachzubauen. Mit Blick auf den Gegner stand nur dessen gefährlichster Angreifer im Fokus, mitunter der Spielmacher.

 

Mein Auftrag lautete: »Stell ihn kalt.« Daraufhin lud ich, der minderbegabte Verhinderer, eine unsichtbare Flinte durch und sagte, so überzeugt, wie ich konnte: »Alles klar!« »Alles« war gelogen, »klar« ebenso.

Aber wenn mein Verein, der TuS St. Hülfe-Heede, gegen die SG Diepholz antrat, war es anders: Deren bester Mann war der Torhüter, und der ließ sich nicht kaltstellen. Das war einzigartig, denn eigentlich wurde immer nur der zwischen die Pfosten gestellt, der im Feld am meisten Schaden angerichtet hätte. »Fliegenfänger« war die gängige Bezeichnung für diese erbarmungswürdigen Jungs. Vor Partien gegen die SG stellte sich uns also die große Frage: Wie um alles in der Welt sollen wir gewinnen, wenn wir auf gar keinen Fall einen Treffer erzielen? Verdammt, sie haben Sorosh!

Wir fanden nie eine Antwort darauf. Selbst Stefan Rosenthal, hochtalentierter Regisseur des FC Sulingen, vor dem ich solche Angst hatte, dass ich vor Spielen gegen seine Mannschaft schlecht schlief, fürchtete diesen Sorosh: »Niemand von uns wusste, wie der Typ genau heißt«, schrieb er mir neulich in einer SMS. »Zorosch? Zorro? Wir wussten nur: Der ist unüberwindbar!«

Von meiner Position aus, die zu verlassen mir aufgrund mangelhafter technischer Fähigkeiten streng verboten war, sah ich unsere Stürmer, den armen Chris, den armen Sascha, den armen Andre, allesamt an Sorosh verzweifeln. Ja, ich hörte regelrecht, dass ihr Wille brach wie ein morscher Ast. Bald lagen sie nur noch mit dem Gesicht nach unten im Morast, unfähig, je wieder aufzustehen. Sorosh hielt alles. Seine Beine schienen Sprungfedern zu haben, seine Hände Saugnäpfe. Sekunden später regneten seine weiten, präzisen Abschläge auf mich herab wie Kometen. Aus einem eigenen Angriff wurde auf schockierende Weise ein tödlicher Konter. Wir verloren immer. Ein 0:3 war schon ein Achtungserfolg, den wir uns mit den ersten Haake-Becks unseres jungen Lebens schön soffen. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sorosh in einem Spiel gegen uns je hinter sich gegriffen hätte.

Mehr als ein Vierteljahrhundert ist das nun her.

Als mein Sohn mich einmal fragte, ob ich auch Fußball gespielt hätte, zögerte ich und sagte schließlich: »Joar, bisschen.« Vielleicht war es ja nur ein böser Traum gewesen, so wie man manchmal träumt, man würde ertrinken, und dann schreiend aufwacht. Sorosh aber begegnet mir seitdem immer wieder, als Mythos, als Geist, als entrückter Star, in Spielberichten im Sportteil norddeutscher Zeitungen, auf »transfermarkt.de«, wo ich seinen Werdegang verfolge, in Anekdoten, die ich mit alten Kumpels austausche, in unvermittelt auftauchenden Bildern in meinem Kopf. Dann fliegt er durch die Erinnerung wie Genzo, der Torwart der »Super Kickers« aus der japanischen Manga-Serie »Captain Tsubasa«, schwerelos, endlos, alterslos, in ewiger Zeitlupe.

Eine ganze Weile hätte es mich nicht überrascht, ihn eines Tages in der »Sportschau« zu sehen, mindestens als Torwart eines ambitionierten Drittligisten oder im WM-Sonderheft als zweiten Mann der iranischen Auswahl. Doch dann begann die Wahrscheinlichkeit allmählich zu sinken, dass Sorosh, der Star des Landkreises, wirklich noch einmal groß rauskommen würde. Er muss, wie ich, jetzt 43 Jahre alt sein.

Wo bist du, Sorosh? 

Was ist aus dir geworden? 

Fliegst du noch? Wo bist du gelandet? 

Und: Wer bist du eigentlich?

Für eine Saison, die Wege des Herrn sind unergründlich, standen wir im selben Kader. Und doch blieb er fremd und unerreichbar. Ich war im Sommer 1997 in die 1. Herrenmannschaft aufgerückt und dort nun Ersatzmann des Ersatzmanns des etatmäßigen rechten Verteidigers, eines in die Jahre gekommenen Chuck-Norris-Typen, der in meiner Erinnerung auf dem Platz eine Jeansjacke trug. Schon in der Vorbereitung foulte er sowohl seinen Ersatzmann als auch mich so brutal, dass wir beide verletzt ausfielen, es also keinen Ersatz mehr gab, was ihm allemal lieber war, als dass dahergelaufene Halbstarke wie wir an seinem Stammplatz kratzten.

Sorosh indes war der sensationelle Neuzugang beim TuS. Er war noch in der A-Jugend von der SG Diepholz zu Blau-Weiß Lohne gewechselt, dem Real Madrid der Region, Heimatverein von Ansgar Brinkmann. Von dort hatte unser Obmann, ein gewiefter Versicherungsmakler, ihn für ein mir damals astronomisch vorkommendes Honorar, bei dem es sich vielleicht auch nur um ein großzügiges Spritgeld handelte, zu uns transferiert. Man muss sich das so vorstellen, als wechselte Gianluigi Donnarumma zum FSV Salmrohr, weil man ihm die Fahrtkosten erstattet.

Um uns vor Augen zu führen, dass Sorosh zu Höherem berufen und dies nur eine Zwischenstation für ihn war, musste er sich nicht einmal ins Tor stellen. Wir verstanden es schon nach dem ersten Waldlauf durch den Wagenfelder Forst. Während manche von uns sich nur schnell das Hemd überzogen, weil sie ohnehin noch die Kühe füttern mussten, andere sich überwanden, die schimmelbefallene Dusche zu benutzen und wieder andere einfach nur dasaßen, bis der Schmerz nachließ, begann Sorosh plötzlich, sich selbst zu massieren. Ich erinnere mich noch an den Gesichtsausdruck von »Eule«, dem schon mit 45 auf die Welt gekommenen Mittelfeldroutinier, der seinen Muskelkater zu behandeln pflegte, indem er sich eine Flasche Franzbranntwein über den Kopf goss. Als er sah, wie Sorosh sich seine Astraloberschenkel knetete, muss er das Widersprüchlichste zugleich empfunden haben: Neid und Bewunderung, Hass und Liebe. Ohne Zweifel hatte er, hatten wir alle in diesem Augenblick begriffen, dass Sorosh ein Fußballprofi war, der sich in der Tür geirrt hatte. Er war zwar hier, aber gehörte nicht in unsere Welt.

Am Ende jener Spielzeit 1997/98 stiegen wir auf, ungeschlagen, mit neun Punkten Vorsprung vor dem TSV Jahn Ströhen. Ich halte mir zugute, dass ich den Erfolg immerhin nicht verhindert habe. Von Sorosh, der in dieser Saison nur zehn Tore kassierte, hängt heute noch ein gerahmtes Foto im Vereinsheim.

Danach trennten sich unsere Wege wieder und für immer: Ich beendete meine Karriere im Alter von 20 Jahren, weil ich nicht auch noch Ersatzmann des Ersatzmanns des Ersatzmanns werden wollte. Sorosh verließ die Niederungen der Kreisliga und wechselte er als Gastspieler zum VfL Osnabrück. Ich nehme an, dass ich seither öfter an ihn gedacht habe als er an mich.

Im Frühsommer schrieb ich eine Email an seine Firmenadresse: »Sorofit«. Er arbeitet jetzt als selbständiger Physiotherapeut und Fitnesstrainer in Oldenburg. Ob er sich, wenn er seine Patienten versorgt hat, wohl immer noch selbst massiert?

Ein paar Wochen später der Anruf: »Hi, hier ist Sorosh.« Würde er meine Anfrage aus der Gefahrenzone fausten? Doch nein: »Klar, lass uns treffen. Bisschen über alte Zeiten quatschen. Ich hab Bock.«

Natürlich ist er, der Fußballprofi, vorbereitet. Als ich sein Wohnzimmer betrete, steht schon ein halbes Dutzend Kartons auf dem Sofa, etliche weitere wird er noch vom Speicher holen. Im Laufe unseres Gesprächs zieht er zahllose Artefakte seiner langen Karriere daraus hervor. Bald ergießt sich eine Lawine über den Teppich, aus Urkunden, Medaillen, Verträgen, Wimpeln, Trikots, Autogrammen von Rüdiger Vollborn und Werner Biskup, einer DVD mit einem Interview, das er dem NDR gab, Fotos von ihm und Mehdi Mahdavikia, einer Einladung zum »Tigerenten-Club«, einer porösen Gatorade-Flasche, Torwarthandschuhen mit seinem Namen darauf, einem einzelnen von Jörg Schmadtke, einem Ball, auf dem in dicken Buchstaben »Olga« und »Julia« steht, Geschenk der Schönheitsköniginnen von St. Hülfe zum 18. Geburtstag, und Hunderten von Zeitungsausschnitten: »In der Schlussphase konnten sich die Gäste bei ihrem starken Keeper Sorosh Nassiri bedanken«, heißt es darin. »Das Powerplay endete immer wieder bei Keeper Sorosh Nassiri, der einfach überragend hielt.« Oder: »Was aufs Tor kam, war sichere Beute von Sorosh Nassiri.«

Schon in Teheran, seiner Geburtsstadt, sei er Torwart gewesen, erzählt er, und sei über die Hartplätze gehechtet. Sein Vater nähte ihm eine 1 aufs Leibchen, er zog sich Gartenhandschuhe an. 1987, mit sieben Jahren, kam er nach Deutschland, zunächst allein mit seiner großen Schwester. Seine Eltern, im Iran politisch verfolgt, würden erst ein Jahr später folgen. »Wir kamen bei Bekannten unter«, erzählt er, »auf dem Dorf, in einem Haus gegenüber der Mausefalle.« Dabei handelte es sich, wie ich hinzufügen muss, um ein berüchtigtes Bordell. Die Tochter des Besitzers wurde seine Spielkameradin.

Sein zweiter Kontakt mit der hiesigen Kultur war ein Überraschungsbesuch von Rudi Carell an der Diepholzer Mühlenkampschule, der dem allseits beliebten Hausmeister Fritz Schriefer ein »Rudigramm« überbrachte. Schriefer war es auch, der Sorosh, dem fußballversessenen Jungen, den Schlüssel für die Turnhalle aushändigte, so dass er trainieren konnte, wann immer er wollte. Andere Hausmeister zogen nach. Im Gegenzug mähte er den Rasen der Sportplätze. »Alle dachten, dass ich was ausgefressen hätte und Strafarbeit leisten müsste«, erzählt Sorosh. »Aber die Hausmeister und ich, wir hatten einen Deal.«

Frank Werner, sein Entdecker und Förderer, vergleicht ihn rückblickend mit Jorge Campos, dem mexikanischen Exzentriker. »Sorosh war der geborene Torwart«, sagt er am Telefon. »Sehr beweglich, sehr gelenkig. Aber ein bisschen zu riskant in seiner Spielweise.« Werner setzte ihn in einer höheren Jugendmannschaft ein, in der die anderen zwei, drei Jahre älter waren, damit er sich nicht langweilte. Er ließ ihn in der Handballsparte mittrainieren, so sollte er die Furcht vor scharfen Bällen verlieren. Und manchmal stellte er ihn als Rechtsaußen auf, um seinem Trieb, weit, zu weit aus dem Tor zu eilen, Genüge zu tun.

1991, kaum vier Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland, wurde Sorosh Nassiri, der Junge aus Teheran, zum »Sportler des Jahres« gewählt und trat ans Licht der Diepholzer Weltöffentlichkeit. Ärgerlich, dass die Lokalzeitung ihn mit Nachnamen »Nasivin« nannte, wie das bekannte Schnupfenmittel. Heute lacht er darüber.

In den niedersächsischen Auswahlmannschaften, in die er berufen wurde, traf er auf Raphael Schäfer und Stefan Wessels, die, wie er sagt, nur deshalb vorgezogen worden seien, weil sie einen halben Kopf größer waren. Sorosh ist etwas über 1,80 Meter, recht klein für einen Torwart. Vielleicht ist das der Grund, warum er es doch nicht bis ganz oben schaffte. Vielleicht wurde er nicht früh genug systematisch gefördert. Vielleicht war er auch Jorge Campos zu ähnlich.

Illustre Vereinsnamen ergießen sich nun ins Wohnzimmer wie zuvor die Zeitungsausschnitte: TSV Asyaspor Vechta, SpVg Beckum, VfL Oythe, BV Cloppenburg, SV Wilhelmshaven, Werder II, Kickers Emden, VfL und VfB Oldenburg, Kickers Wahnbeck. Eine Odyssee durch die norddeutsche Fußballwelt, von der Kreis- in die Regionalliga und zurück. Mal gab es einen ordentlichen Vertrag, mal Geld bar auf die Kralle. Mal blieb Sorosh länger bei einem Klub, mal suchte er nach kurzer Zeit das Weite, weil, wie er sagt, »die blöden Idioten mich nicht bezahlt haben«. Mal fuhr seine Truppe ins Trainingslager nach Belek und, weil es daheim regnete, umgehend zurück nach Belek, mal gab es nicht einmal intakte Duschen. Mal wurden Konto und Kühlschrank vom Verein gefüllt, er musste sich um nichts kümmern, mal warf er nach dem Training aus Gewohnheit sein Trikot in die Mitte, aber der Kapitän gab ihm zu verstehen: »Das ist hier nicht so, wie du es kennst. Wir waschen selber.« Er begegnete Figuren, die ich nur aus den Medien kenne: Gerd Roggensack, Wolfgang Sidka, Leonardo Manzi, Horst Elberfeld und dem legendären Bremer Torwarttrainer Ecki Paradies. Mit Max Kruse ging er ins Casino, mit Per Mertesacker feierte er Silvester, tanzte auf Aaron Hunts Hochzeit. »Man rutscht da so rein«, sagt er.

Sorosh schätzt, dass er im Laufe seiner Karriere 150.000 Euro verdient hat. Das klingt nach viel Geld, geteilt durch all die Jahre aber reichte es nicht zum Leben. 2005 begann er, in Doppelfunktion bei den Vereinen zu arbeiten: als Keeper und Physiotherapeut. Sein größter Erfolg als Masseur ist es wohl, dass er einmal Claudio Pizarro behandelt hat. Inzwischen betreibt er seine eigene Praxis mit sechs Angestellten. In seinem Dienstwagen baumelt ein kleiner Torwarthandschuh am Rückspiegel. Noch immer steht er zwischen den Pfosten, »wo immer ein erfahrener Mann gebraucht wird«, wie er sagt, derzeit beim VfL Oldenburg III in der 2. Kreisklasse.

Sorosh Nassiri ist gelandet und fliegt dabei noch immer. Das muss man erst mal hinbekommen. Auf meine Frage, wann er denn aufhören wolle, antwortet er, bevor ich ausgeredet habe, reaktionsschnell wie eh und je: »Nie!«

Und was mich beinah noch mehr interessiert: Massiert er sich immer noch selbst? »Natürlich«, sagt er. »Ein Körper braucht professionelle Pflege.«

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telefonisch 0170 96 000 14

oder über die E-Mail physio@sorofit.de

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